Ode an Lichtenrade

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Verunglimpft als spießig und peripher

liegst du vor mir als Traum aus Wald und Meer

jeden Sonntag gibt es Brot und Torte

und zwar von der leckeren Sorte.

 

Großziethen ist deine Schwester im Osten

die Wege voller Beeren zum Essen und Kosten

es schlängelt sich fruchtbar am Rande dahin

und lässt die Wolken nach Buckow ziehen.

 

In Lichtenrade lässt es sich gut leben

doch noch besser über Wälder schweben

im großen Nichts am Rande der Stadt

findet eben Erholung erst wirklich statt.

 

(Eigentlich im strengeren Sinn keine Ode, aber das liegt am Thema, nicht an mir).

Kaffeetrinken in Mitte

Kaffeetrinken in Mitte

Fünf Latte
für die Männer
vom Start Up
schreit der Dicke

Fünf dicke Latte
schreit die Barista
mit der blonden
Perücke

Fünf Latte
im Becher
die Milch geschäumt
nicht geschüttelt
am Kapitalismus
wird hier ganz bestimmt
nicht gerüttelt

 

 

Deo ex Sprühdose

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In der S-Bahn

Kim Kardashian und Kanye West in der Berliner Touri-Version. Pärchen mit viel Haut, kurzen Shorts und T-Shirt, Sonnenbrillen, viel Make up, viel Parfüm, hohe Schuhe, schickes Reisegepäck und ein Schoßhündchen, das auf dem Arm getragen wird.

Zwei Stationen weiter, die S-Bahn-Türen öffnen sich und der erste Stinker dieses Jahres steigt ein. Als ob sich Limburger Käse mit einer seit Jahren nicht geputzten Herrentoilette gepaart hätte. Wolke aus Pech und Schwefel, als er durch die S-Bahn geht.

Ich binde mir den Schal ums Gesicht, einige Mitfahrer hecheln, halten  sich die Nase zu oder fächeln herum.  Das Schoßhündchen zeigt keine Regung. Hunde mögen strenge Gerüche.

Kim und Kanye sind dagegen entsetzt. Sie greift in ihre Tasche und holt ein rosa Deo-Spray heraus, stammelt „Sorry“ und sprayt Deo in den Waggon.  Billig-Deo und Stinkergeruch ist so ziemlich das Schlimmste, was in der S-Bahn (oder U-Bahn) zu ertragen ist. Laufe lieber bis zum Potsdamer Platz.

Verrücktes Berlin

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Ich sehe in die Menschenmenge

Sie sind mir alle so unglaublich fremd

Ich schlängle mich aus der Enge

Und bemerke, wie sie mich mustern

Liegt es etwa an meinem Kleid?

 

Nein! Das kann es nicht sein

Die Menschen in Berlin sind alle verrückt!

Da falle ich doch nicht auf

Sie sind doch alle bunt, groß, klein

Oder – wie ich – mit Blumen geschmückt

 

Ich bemerke, dass sie nicht mich anschauen

Sie schauen ein bettelndes Kind an

Ich hoffe, es wurde nicht verhauen

So ist es in Berlin!

Es gibt gute und schlechte Seiten

Und sehr viele Schwierigkeiten

 

(von Mila Lausch)

Zirkuskind

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Papa war ein rollender Stein
Mama: eine Königin
Sie: Seiltänzerin

Wenn sie auf dem Seil steht
sieht sie nur noch Münder
Vor dem Herabfallen
hat sie keine Angst
nur vor den Gesichtern

Der Clown lacht
wenn sie oben steht
und er unten
Blutunterlaufene Clownsaugen
bröckelnde Schminke
ein roter Mund
gelbe Zähne
Sie kann ihren Eltern nie sagen,
dass ihr Atem stockt
dass sie weglaufen will
vor diesen Augen
Die Raubtierzähne werden sie fressen.
und sie soll auf dem Seil tanzen!

Vor dem Löwen hat sie keine Angst
nur vor den gelben Zähnen

Sie atmet Sägespäne
kleine Pfeile in der Lunge
manchmal weint sie
vor Schmerz

Papa kann sie nicht hören.
Mama: wollte es nicht wissen.
Sie: Lebenskünstlerin

schwebend über dem Abgrund

(Kleine Bemerkung: Das Gedicht stammt noch aus dem Studium im Biografischen und Kreativen Schreiben; habe es vorkurzem wieder entdeckt. Es entsprang aus einer Übung, in der ich von einer Partnerstudierenden einen Ort und eine emotionale Verfassung genannt bekam. Bei mir war das „Zirkus“ als Ort. Und als emotionale Verfassung war es, glaube ich, Unbehagen.)

Spätkauf

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im spätkauf goethe

verkaufen sie shakespeare

ich schätze mal

auch starken tobak

vielleicht milch

unter cellophan

 

ich kauf dort nicht ein

ich geh nur

ab und zu

vorbei

und denke darüber

nach ob ich

auch einen

spätkauf aufmache

 

spätkauf tristan

nenne ich ihn

vielleicht

 

dort gibt es besonders

triste bücher

die tränen meiner

käuferinnen

sammle ich in tönernen

gefäßen

sie werden zu perlen

die ich verkaufe

und dann

werde ich reich

 

und

irgendwann

mache ich dann

den spätkauf

schiller auf

 

dort gibt es

nur

schillerlocken

und

schrille glocken

die läuten

wenn jemand

die tür aufmacht

 

um das schrille

läuten der

schillerglocken

zu vermeiden

lasse ich die tür

meines spätkaufs

geschlossen

 

das beste ist:

ich habe dann

immer

meine ruh

 

Sijaretten

Frauen und Ssijaretten

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In der S-Bahn.

„Ssijaretten, imma willse Ssijaretten von mia!“,

Erst dachte ich, der junge Mann hätte einen Sprachfehler, würde lispeln, aber dann fiel mir ein, dass der Berliner ja gerne statt Z ein stimmhaftes S spricht.

„Ick saje ssu ia: ick kann nich imma Ssijaretten koofen, dit is ma ssu teuja, ick hab’ ooch nich soviel Jeld!“

„Da sacht se ssu mia: Komm’ jib ma noch eene Ssijarette, nua eene! Sach’ icke zu ia: Et jibt keene Ssijaretten mehr, komm’ Mädel, hör’ do’ uff, Roochen is sowieso nich jut fü’ dia, lass’ do’ die Ssijaretten!“

 

The Börghain

Am S-Bahnhof außerhalb des S-Bahn-Ringes. Rundherum Lauben und viel Grün.

Die Trägerin einer riesigen Sonnenbrille kommt auf mich zu.

„Excuse me! Excuse me! Which way to the Börghain?“

„This way! Go to Friedrichstraße and then change to Alexanderplatz or Jannowitzbrücke.“

Hoffentlich nimmt sie den Zug in die Innenstadt und nicht den nach Teltow oder Lichtenrade. Sonst kriegt sie einen Schock.

 

Hellersdorf auf dem Bahnsteig

Hellersdorf

Steh aufm U-Bahnhof
lauter Menschen
welche studieren
welche tragen Taschen
welche verlieren Gehörgeräte welche verlieren ihren Verstand welche haben nichts

bunt durcheinander gestreut stehen die da alle
aufm U-Bahnhof
als ob einer über den Bahnsteig eine riesige Pfeffermühle hält und daran dreht

und raus fallen sie
rosa, graue, braune, schwarze, gräuliche Pfefferkörner